Hast du Lust, mit mir auf eine kleine Forschungsreise zu gehen? Sie beginnt mit der Frage: Wo in deinem Körper findet dein Schreiben statt? Das ist einfach, magst du jetzt sagen – in meinen Händen. In meinem Kopf – dort zuerst. Ich denke etwas und dann schreibe ich es, mit dem Füller auf Papier oder mit zwei, vier oder zehn Fingern an der Tastatur und dann werden Buchstaben auf dem Bildschirm sichtbar, machen meinen Denkprozess wirklich – verfestigen ihn.

Alles nur in meinem Kopf?

Diese Frage, die Andreas Bourani mal vertont hat, wird in meinen Schreib-Räumen oft gestellt. Oder vielleicht ist es auch gar keine Frage – es ist eine manifeste Aussage: Es ist alles in meinem Kopf und mein Schreiben bringt meine Gedanken zu Papier. Und deswegen dauert es auch seine Zeit. Der Schreibimpuls will verstanden und be-dacht werden und im eigenen Gedankengebäude gehe ich dann spazieren, um alle Assoziationen, Ideen, Einfälle, Bilder, Geistesblitze und Auffassungen zusammenzutragen, die in den vielen Räumen dieses Bauwerks zu finden sind. Bestückt mit Korb und Kiste schaue ich in alle Zimmer und in alle Ecken – steht oder liegt dort noch ein Gedanke, der für diesen Text wichtig sein könnte? Wenn ja, packe ich ihn ein. Am Ende habe ich einen beachtlichen Berg zusammengetragen, beginne zu schreiben. Ein Text entsteht.

So könnte es sein.
Oder ganz anders.

Es gibt noch eine andere Art des Schreibens. Vielleicht magst du sie einmal erforschen? Sie hat einige Namen – intuitives Schreiben, absichtsloses Schreiben oder automatisches Schreiben (wobei mir dieser Name gar nicht gefällt – ein Schreibautomat möchte ich nicht sein. Dennoch ist dieser Begriff der gebräuchlichste, also sei er hier mit angeführt). Im absichtslosen Schreiben lernen wir, unserer Intuition zu vertrauen. Wir lassen ein universelles Wissen, mit dem wir verbunden sind, aus der Feder fließen und können so unserer inneren Stimme den Raum geben, den sie verdient. Es ist wissenschaftlich belegt, dass intuitives Schreiben die rechte Hirnhälfte aktiviert, die für Kreativität, Verknüpfung, für das „große Ganze“ zuständig ist. Sie steuert Gedanken nicht linear, wie wir das im Alltag normalerweise tun (Wenn ich A tue, wird B passieren …). Die rechte Hirnhälfte zeigt das Gesamtbild und das wollen wir finden und zu Papier bringen. Durch diesen Zugang erreichen wir vielleicht eine Informationsebene, die uns sonst verschlossen bleibt. So die Idee.

Für einzigartige Texte benötigen wir alle Erfahrungen der menschlichen Existenz und unsere Erfahrungen sind nicht nur im Kopf – sie sind im Bauch, im Herz (vor allem da), im Becken und von mir aus auch im kleinen Zeh. Im ganzen Körper findet Kreativität statt – wenn wir sie aktivieren und zulassen. Jedes Wort, das du schreibst, benötigt immer eine tiefe Verwurzelung im Sein, um wirklich und wahrhaftig zu wirken. Deine Kreativität ist nicht viel wert, wenn du dabei den Boden unter den Füßen verlierst. Wenn du abhebst.

Neigst du dazu? Ich schon. Ich bin sehr verkopft, fühle den oberen Bereich meines Körpers sehr viel stärker als den unteren, bin schwerpunktmäßig im Geist unterwegs und habe oft keinen festen Stand im Alltag – Geräusche, Gerüche und vor allem die Sorgen, Nöte und Energien anderer Menschen ziehen mir den Boden unter den Füßen weg. Stupst du mich an – mit einer Idee oder einer Frage – dann renne ich los und durchsuche alle Räume meines Gedankengebäudes. Das ist sehr hoch und sehr groß und hat sehr viele Räume, in denen Marc Chagall neben Dieter Bohlen wohnt und darauf wartet, zitiert oder für die Erwähnung in einem Text aktiviert zu werden. Mein Gedankengebäude ist gleichzeitig Fluch und Segen und ich muss, will, darf immer wieder ganz bewusst aus diesem Gebäude heraus treten, in die lebendige Wirklichkeit. Atem holen. Hier kann ich meine Kreativität erden, mich auf das Wesentliche besinnen. Und aus diesem Wesentlichen heraus beginne ich zu schreiben – einfach so.

Habe ich die Füße fest auf dem Boden, dann wurzelt meine Kreativität in der Materie und es scheint, als würde mein Schreiben Zugriff auf eine andere Dimension erhalten. Ganz unspirituell gibt es eine Ebene, die nicht nur uns gehört. Von dort aus haben wir – vor allem als co-kreative Gemeinschaft – Zugriff auf ein Wissen, das weder die Gruppe ist, noch die Individuen dieser Gruppe noch das Erlebnis, das sie miteinander teilen. Es ist der Zugriff auf ein „Higher-We“, wie Thomas Steininger und Elizabeth Debold es in ihrem Booklet „Emergent Dialogues“ schreiben. Und ich stelle mir vor, dass es dieses Higher-We sein könnte, in dem wir wichtige Antworten auf die existenziellen Fragen unserer Zeit finden, Lösungen, auf die wir alleine nicht kommen.

Sollte Schreiben also den Intellekt umgehen? Nein, sicherlich nicht. Auch die prächtige Eiche, zu der ich manchmal spaziere, reckt sich ebenso hoch in den Himmel, wie sie ihre Wurzeln tief in der Erde verankert – sie ist dort angeschlossen an das „Wood wide web“ und auch ihre Äste sind verbunden mit der lebendigen Wirklichkeit – über jeden Vogel, der sich auf ihren Ast setzt, über jeden ehrfürchtigen Blick, den Wanderer auf ihr ruhen lassen, wird sie immanent, Teil von Allem. Und in der Erde zu ihren Füßen – und zu meinen, wenn ich bei ihr sitze – schlummert schon das Potenzial einer neuen Welt. Der neue Baum ist schon angelegt in der Eichel, die mit dem Herbstlaub zugedeckt wird. Irgendwann wird sie keimen – so ist ihre Natur. So ist auch die Natur deiner Ideen – irgendwann werden sie keimen. Aus der Erde heraus, mit der du verwurzelt bist.