Was passiert eigentlich, wenn wir „absichtlos Schreiben“ oder uns zum „Schreiben – einfach so“ verabreden? Das werde ich öfter gefragt. „Viel“, sage ich dann. Und weil dieses „Viel“ den meisten zu wenig ist, füge ich hinzu: „Im absichtslosen Schreiben gelangen wir aus der schreibenden Kraft des Ich in einen intensiven Austausch über unsere Geschichten – in einen Austausch, der zum Wir führt.

Ein freier Schreibimpuls öffnet eine intuitive Schreibrunde, aus der heraus wir die frisch entstandenen Texte im Vorlesen teilen. Viel Wert legen wir auf das tiefe Zuhören und auf ein Feedback, das im Bezug auf das eigene Erleben erfolgt – wertfrei und aus dem ruhigen Innenraum heraus, der in der Begegnung mit lebendigen Geschichten entsteht. Dies schafft eine unterstützende und offene Atmosphäre, in der jede und jeder sich sicher fühlt, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken.

Ebene 1 – Der Impuls

Schreibimpuls – worüber schreiben? Das werde ich ganz oft gefragt und diese Frage erstaunt mich immer wieder. Mir stellt sie sich nämlich ganz anders – worüber NICHT schreiben? Tausende Begegnungen am Tag, die be-schreibenswert sind, ein Käfer auf einer Margerite, die Nachbarskatze. Ein Satz, im Vorbeigehen wahrgenommen, eine Beobachtung in der S-Bahn. Eine Überschrift in der Zeitung, ein Bild, ein Buch. Das eigene Tun, im Alltäglichen oder Besonderen. Die Marotten – gerne die eigenen, beliebt auch die der anderen – im liebevollen Blick, selbstverständlich. 😊 Schreib über den Stift in deiner Hand oder schreib einen Text aus der Perspektive des Stifts – was erlebt er so als Diener deiner Kreativität?

Ebene 2 – Das Schreiben

Schreiben – die Essenz. Über den Impuls erfolgt die Annäherung an das Ich, das Sein. Wie reagiere ich auf diesen Impuls, was macht er mit mir – genau mit mir? Was will entstehen, eine Kurzgeschichte, ein Gedicht, ein Haiku, ein Elfchen? Oder wollen nur einzelne Worte geschrieben werden, zunächst? Und es bleibt offen, ob sie sich zu einem Text verdichten, der verspricht, sinnvoll zu sein. Und was, wenn der Text diese Versprechung nicht hält? Dann ist es ein sinnloser Text – wie wunderbar. Die Welt braucht viel mehr Kreativität, die ohne Sinn und Absicht einfach nur erschafft – und der Entstehungsprozess ist der Zauber. Was auch immer im Schreiben entsteht oder nicht entsteht – es ist deins. Du drückst dein Ich durch das Schreiben aus – vollkommen unvollkommen und berührst zart deine innere Quelle. Die stupst du an und fragst – magst du mit mir spielen?

Ebene 3 – Das Vorlesen

Vorlesen – der Schritt vom Ich zum Du. Das ist ein großer Schritt, den einige der Teilnehmer:innen meiner Schreib-Räume zum ersten Mal tun – etwas mit der eigenen Hand Geschriebenes zum ersten Mal laut vorlesen. Teilen. Öffentlich machen. Mit den eigenen Worten nach Außen gehen. Sie – so fühlt es sich vielleicht an – der Meute zum Fraß vorwerfen. Und die „Meute“? Lauscht atemlos und neugierig – ist gespannt, erfreut, offen, inspiriert, amüsiert oder zu Tränen gerührt. Die Zuhörer:innen lassen sich ein auf deinen Text – öffnen sich ihm und in der Annäherung entsteht eine Verbindung, ein Geschichtenfaden spinnt sich zwischen Leserin und Zuhörer, zwischen Mund und Ohr. Es gibt – ich bin überzeugt davon – keine stärker verbindende Kraft als die einer Geschichte, die von Herz zu Herz geteilt wird. Deswegen – lies deine Geschichte. Immer wieder – laut. Langsam. Und sei dir gewiss – wir wollen sie hören. Unbedingt. Weil wir durch die Geschichten der anderen nicht nur etwas über sie erfahren – sondern auch über uns.

Ebene 4 – das Zuhören

Zuhören ist eine Kunst. Weil wir wissen, dass das Gehörte etwas mit uns machen wird. Allerdings wissen wir nicht, WAS es mit uns machen wird. Darum hören wir vielleicht lieber weg? Aber genau deswegen ist Zuhören so wichtig, weil es uns öffnet, verändert, unser Ich am Du wachsen lässt. Zuhören verändert die Welt. Nachhaltig.

Ebene 5 – das Feedback

Das Feedback ist mein Lieblingselement der 5 Ebenen. Hier führt uns der Prozess des Schreibens in einen Kreis, in ein Wir. Ich nutze gerne den englischen Begriff, da ich ihn als „zurückfüttern“ übersetze. Und das hört sich schön an, weil es den Kern dessen trifft, was Feedback ist: Nahrung für Autor:innen. Futter. Wachstumsenergie. Bestärkung. Wir haben zugehört und urteilsfrei wahrgenommen. Wir haben gespürt – wie wirkt der Text auf mich? Wir haben das Geschenk angenommen, das die Schreibende uns im Vorlesen – im Teilen – gemacht hat. Jetzt geben wir das Geschenk des Teilens zurück und überschütten den Lesenden mit warmer Rückmeldung: Was hat dein Text in mir ausgelöst, welche Bilder, Emotionen, welche Formulierungen haben gefallen, welche Wendungen, wo musste ich schmunzeln, wo regte etwas zum Nachdenken an? Feedback in dieser Art des Prozesses ist keine Schreibkritik. Es ist ein wohlwollendes – immer ehrliches – Wir und im Üben werden wir herausfinden, dass wirklich jeder Text soviel Gutes enthält, unglaublich. Letztlich überträgt diese Art des Hinschauens sich langsam, allmählich, sogar auf unser Leben: Sie schärft den Blick für die andere Seite der Münze, für das Lichtvolle. Wir beginnen, anders auf die Welt zu schauen …

… neue Geschichten entstehen.

Die geteilt werden dürfen.

Was für ein Geschenk!