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Kennt Ihr das Projekt „Starke? Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Nicole schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken. :-))

Heute geht es um Geld. Dieses Thema hatte ich in Bezug auf die „starke Frau“ anfangs gar nicht auf dem Schirm, aber die tollsten Themen kommen eben überraschend. Eigentlich ist Geld und Frau ein total stimmiges Thema, wenn wir überlegen, dass Emanzipation ganz viel mit der Unabhängigkeit von Frauen durch eigenen Verdienst, eigene Arbeit, zu tun hat. Deswegen freue ich mich, mit Nicole Rupp über dieses Thema zu sprechen. Sie ist Geldexpertin, Diplom-Betriebswirtin, systemischer Coach und hat mehrere Bücher geschrieben. 2003 hat sie ihre eigene Marke Geldbeziehung (www.geldbeziehung.de) begründet und unterstützt seitdem Menschen auf dem Weg zu mehr Freiheit, Leichtigkeit und Lebensfreude in den Themen Geld und Erbe. Nicole, wie immer die erste Frage in den Gesprächen über Starke? Frauen: Was ist das für dich, eine starke Frau?

Nicole: Eine starke Frau hat auf jeden Fall Sensibilität. Wenn ich Stärke denke, meine ich diese innere Stärke, die aus Sensibilität entsteht. Mit einer starken Frau verbinde ich das Thema Lebendigkeit: innerlich frei sein und dadurch verbunden sein mit sich und der Welt. Eigentlich ist es ganz einfach – im Grunde sind wir alle starke Frauen, wenn wir bei uns sind, wenn wir mit uns präsent sind. Wenn wir wagen, die Ketten zu sprengen, gelangen wir in unsere wahre Kraft. Jeder Mensch ist anders und hat ganz eigene Qualitäten, und das ist Stärke. Manche sind redegewandt, andere können besser zuhören und beides ist eine Stärke, weil wir ganz bei uns sind. Für mich kommt die starke Frau aus dem Wissen, wer sie ist, was ihr Sein ist. Da sind wir auch schon mitten in meinen Themen, denn mein erstes Buch heißt „Haben kommt von Sein“.

Andrea: Interessant. Ich interpretiere es mal so: Wenn ich mit mir in einer guten Beziehung bin, wenn ich bei mir bin, dann kommt auch das Haben?

Nicole: Absolut. Folge dir und Geld wird dir folgen. Wenn du es umgekehrt machst, bist du ja ewig Sklavin deines Geldes. Das ist es, was wir gelernt haben: Wir müssen für Geld etwas tun. Aber diese Vorstellung kommt aus dem Mangeldenken. Oder vielleicht sind wir gebrochen worden: Ich bin nichts wert, bin nur das, was ich leiste. Der Krieg war eine massive Zerstörung in unserer Geschichte, ich habe das an meiner Großmutter gesehen, die wurde richtiggehend krank, als sie nicht mehr arbeiten musste. Sie hat die ganze Zeit hektisch gewuselt, weil sie sich nicht mehr als wertvoll begriffen hat – wenn ich nicht mehr kann, bin ich nichts mehr. Unser Sein ist nicht nur Denken, Tun und Leisten. Meine Beobachtung ist eine andere – wir haben immer nur das, was wir sind. Und wenn wir an dieses Sein nicht angebunden sind, dann können wir zwar viel Geld und Materielles haben oder erben, aber wir werden keine Beziehung zu diesen Dingen empfinden. Dann kann uns ein neues Auto einen Tag glücklich machen und schon am nächsten Tag merken wir, dass es uns nicht erfüllt. Es ist also nicht das Materielle, das uns erfüllt, sondern unser in-Beziehung-Sein mit den Dingen. Wenn wir entweder Freude damit erleben oder eben auch loslassen können, weil wir merken: Das bin ich gar nicht, es ist nur Status oder Materialismus. Es geht alles aus unserem Sein hervor, aus unseren Qualitäten und unserem Wertbewusstsein. Wir drücken durch unser Haben aus, was uns wertvoll und wichtig ist. Daher hat das Haben viel mit unser Selbstverwirklichung zu tun, mit unserem Selbst-Sein, das wir in der Materie verwirklichen – und nicht umgekehrt.

Andrea: Haben als Ausdruck von Mangel, Sein als Ausdruck von Fülle? Ich habe irgendwo, ich glaube bei Charles Eisenstein, gelesen, dass man in Amerika Millionäre und Milliardäre befragt hat, ob sie sich finanziell abgesichert fühlen. Sie haben alle Nein gesagt und bekräftigt, dass sie (noch) mehr Geld brauchen, um sich sicher zu fühlen.

Nicole: Viele denken, sie bräuchten mehr Geld, um in Sicherheit zu sein. Aber diese Sicherheit bekommst du nie und du kannst sie dir nicht kaufen. Sicherheit kannst du nur in dir entdecken, wenn du beginnst in dein Vertrauen, in dein Urvertrauen zu gehen: Ich habe es bis hierher geschafft, ich werde es weiterhin schaffen. Auch die eigenen Potenziale zu entdecken und zu entfalten, gibt große Sicherheit: Ich weiß, was ich kann. Deshalb sind oft sehr reiche Erben extrem verunsichert. Sie haben ihren Besitz nicht erschaffen, sie wüssten auch gar nicht, wie sie ihn erschaffen würden. Dann kommen vielleicht Verluste und sie wissen nicht, wie sie den Besitz halten können. Das sind ganz andere Ängste als bei jemandem, der vielleicht in einem finanziell viel kleineren Rahmen lebt, aber weiß, wer er ist, was er kann und wie er sich retten kann.

Andrea: Ich mag dich noch zu deinem Firmennamen befragen: Geldbeziehung. Der Name scheint klar, denn Geld ist Beziehung. Richtig? Warum ist das so?

Nicole: Das Wort Geldbeziehung hat mich gefunden, für mich ist es ein Heilwort; eine Erinnerung an das, was Geld ist – Geld ist Beziehung. Und ohne Beziehung ist Geld nichts. Wir denken, wir müssen für Geld kämpfen, uns mit anderen anlegen, streiten. Aber Geld bezieht seinen Wert ja nur daraus, dass wir es miteinander tauschen und dass wir heute darauf vertrauen, dass das Papier, was wir da tauschen, auch morgen noch diesen Wert hat. Aber stellen wir uns doch mal vor, wir raubten eine Bank aus, bevor wir auf eine einsame Insel gingen – was hätte das Geld dann für einen Wert, wenn es dort niemanden gäbe, der mit dir in Beziehung ist? Dann bist du vielleicht froh, dass du viel Papier hast, um es dir warm zu machen oder einen Fisch zu grillen, aber das war´s dann auch. Es hilft, sich über den Ursprung des Geldes bewusst zu werden und hier kommen wir auch schnell zum männlichen und weiblichen Prinzip. Ursprünglich war Geld eine sehr weibliche Domäne, Frauen haben den Handel betrieben und getauscht, Geld war verbunden mit dem gebenden, gebärenden, nährenden weiblichen Prinzip, das für die Gemeinschaft sorgen wollte. Dann entstanden Handelswege, es begannen Handelskriege, Männer übernahmen die Führung, wollten Frauen und Kinder beschützen und die Frauen wurden aus dieser Domäne verdrängt.

Wir haben zweitausend Jahre patriarchales Geldsystem hinter uns. Jetzt ist die Zeit, beide Kräfte wieder miteinander zu verbinden. Dafür ist es wichtig, dass Frauen ihre Stärke sehen und leben, auch im Thema Geld. Sie dürfen begreifen, dass es ihr ursprüngliches, natürliches Sein ist, annehmen und geben zu können. Ja, wir benötigen Ziele und dürfen sie verfolgen, aber es ist auch wichtig, mit Liebe zu säen und darauf zu vertrauen, dass die Samen aufgehen. Großzügigkeit, diese weibliche Qualität, können wir wundervoll gebrauchen, um in finanzielle Kraft zu kommen. Mein im Verlag erschienenes Buch heißt „Wer spart, verliert“, weil unser Sparwahn uns auf vielen Ebenen eng macht und vielfältige Verluste bedingt. Im Vertrauen und in der Fülle sind wir großzügig, wir können groß denken und groß geben und wenn wir gerne geben, kommt auch gerne etwas zurück. Die Erfahrung machen ganz viele, dass man großzügigen Menschen viel lieber etwas gibt als geizigen, oder? Diese natürlichen Flüsse können wir mit unserem Sein unterstützen, nicht durch ein Geben in Erwartung, sondern indem wir aufgeräumt sind, im Frieden, im Herzen und aus unserem Sein heraus schauen, was wir zu geben haben.

Andrea: Wunderschön und faszinierend, was sich im Geldthema an Potenzial für die starke Frau findet.

Nicole: Für die starke Frau ist noch wichtiger als das Geben vielleicht das Annehmen-können. Männer tun sich da viel leichter, haben vielleicht eher gelernt, dass sie es verdient haben, dass sie Geld annehmen dürfen. Annehmen können ist ein häufiges Frauenthema und eine große Stärke. Viele Frauen sind in dieser Hinsicht gebrochen, weil sie denken, wenn sie annehmen, müssen sie auch geben. Dahinter kann beispielsweise früh erlebter Missbrauch stecken: Ich will nichts annehmen, ich will nichts haben, bleib mir vom Leib. Aus dem Bedürfnis, sich erstmal selbst schützen zu müssen, kann durch die Verweigerung der Annahme ein gewisser Frieden entstehen. Es ist für Frauen daher ein ganz großes Thema, einfach annehmen zu können, ohne etwas geben zu müssen.

Andrea: Für mich hat das viel mit Abhängigkeit zu tun. Während Frauen früher – also sehr viel früher, vor der Bronzezeit – für Haus, Feld und damit für den Handel zuständig waren, wie du ja sagtest, waren sie seitdem in Abhängigkeit von der Versorgung durch den Mann. Frau musste lange Zeit einen Mann finden, um versorgt zu sein und ihre Kinder versorgt zu wissen. Sie war gezwungen anzunehmen, oder? Wenn sie nicht annahm, als Frau, dann konnte sie nicht überleben. Tun wir uns als „emanzipierte“ Frauen deswegen so schwer damit?

Nicole: Das kann durchaus auch ein Aspekt sein, vielleicht ist der Zwang heute auch ein bisschen anders. Ich glaube, viele Frauen rebellieren gerade, wollen selbstständig sein, für sich sein, nie wieder abhängig sein, nie wieder diesen Druck oder Zwang spüren müssen, der sicherlich vielfach genetisch verankert ist, aber nicht nur. Viele haben auch in diesem Leben noch erfahren, vielleicht in einer Beziehung, dass über Geld Machtverhältnisse ausgedrückt werden. Dann wird es zur Freiheit, nicht anzunehmen. Auch zu einer Freiheit von Verpflichtungen, weil implizit vermittelt wird: Ich bringe das Geld, aber dafür musst du mich lieben. Es gibt eine Vielzahl solch unausgesprochener Verträge. Wenn Frauen nicht annehmen möchten oder können, dann wollen sie oft frei werden von etwas, das sie sonst klein hält oder in Abhängigkeit bindet.

Andrea: Ich merke gerade, dass das, worüber wir reden, viel mit meiner aktuellen Situation zu tun hat. Weil ich am Starke-Frauen-Projekt arbeite und mein Buch schreibe, kann ich gerade nicht meinen vollständigen Teil zum Haushaltseinkommen beitragen. Das bin ich nicht gewohnt, da ich eigentlich immer finanziell unabhängig war. Für mich ist es jetzt eine absolute Katastrophe, meinen Mann um Geld bitten zu müssen.

Nicole: Und diese Katastrophe könnte auch dein größtes Learning und deine größte Transformation sein. Weil du merkst, dass Annehmen eine wichtige Tugend ist und wir alle lernen müssen, dass es eine Stärke ist. Im Buddhismus sagt man, dass der Gebende dankbar sein soll; weil es im Grunde leichter ist zu geben, wenn man zu geben hat.

Andrea: In der Konsequenz würde das bedeuten: Auch wenn ich vermute, dass jemand mir nicht gerne gibt, wenn ich annehmen kann, ist es für mich in Ordnung, oder?

Nicole: Und je lieber wir annehmen, desto lieber wird ein Gegenüber geben, wenn er merkt, dass es geschätzt wird. Und nochmal zurück zu dir und deiner Situation – vielleicht wird dein Buch ein Bestseller, und dann kommt das ganze Geld zurück, aber ohne Erwartung. Wenn das Geben und das Annehmen leichter werden, dann heilen Beziehungen. Auch deine Beziehung zu dir, weil du merkst, dass du es verdienst. Denn du gibst ja auch etwas, ganz viel sogar. Es findet ein Austausch statt, du gibst der Welt etwas zurück, mit dem Projekt, mit dem Buch aber auch auf einer anderen Ebene. Da wir Frauen oft aus unserer Konditionierung heraus denken, unterschätzen wir unser Geben. Wir denken, dass wir nur geben, wenn wir putzen, kochen, machen und tun. Aber es ist mehr: präsent sein, den Raum halten, mit unserem Sein das Haus zum Strahlen bringen …

Andrea: … ein Heim schaffen…

Nicole: Ja, genau, auch das.

Andrea: Wenn ich mir das alles so anhöre, dann bin ich geneigt zu glauben, dass unsere Ideen über Geld unser Verhalten in Beziehungen bestimmen?

Nicole: Absolut. Geld ist eine Projektionsfläche und am Beispiel Geld können wir sehen, wie ein Mensch ist. Jemand, der geizig ist, der ist oft sparsam mit Komplimenten, mit Gefühlen und mit dem Geld. Er ist nicht nur beim Geld geizig und sonst ganz anders, aber am Geld zeigt es sich direkt, weil kein Gegenspieler da ist. Geld ist der direkte Spiegel für die Glaubenssätze, die wir haben, und die sich auch in jeder anderen Beziehung ausdrücken. Wenn wir glauben, dass Geld uns nicht zusteht, dass wir es nicht wert sind, dann denken wir so auch über Aufmerksamkeit oder Liebe. Wir glauben, es nicht verdient zu haben. Auch in einer Beziehung glauben wir oft, nicht liebenswert zu sein, Liebe erst verdienen zu müssen, durch unser Geben, durch unser Tun.

Andrea: Diese Glaubenssätze des Mangels bestimmen unser Leben.

Nicole: Ich habe sehr lange Zeit damit zugebracht, zu verstehen, wie diese Welt mit Geld funktioniert, weil ich von klein auf das Gefühl hatte, dass all das Theater um Geld gar nichts mit mir zu tun hatte. Für mich war Geld ein Spiel, voller Leichtigkeit und Freude. Ich fand es komisch, dass es in meiner Familie und im Umfeld mit Kampf und Anstrengung und „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ verbunden war. Mit zunehmendem Alter verstehe ich noch weniger, wie man aus Materiellem Erfüllung ziehen kann. Dieses Unverständnis und Verstehen-wollen war sicher auch ein Antrieb für meinen Beruf. Ich habe lange gedacht, dass ich falsch bin, bis ich auf andere Menschen traf, die ähnlich dachten und mir bestätigten: Das, was mich glücklich macht, ist etwas anderes. Und wenn ich für mein Glück sorge, dann sorge ich gut für mich und dann kann ich mein Glück ins Geld bringen! Es geht nicht darum, von Geld Glück zu erwarten oder von den Dingen, die ich kaufen kann. Dies ist ein ganz anderer Ansatz, als wenn ich mich oder andere für Geld ausbeute.

Andrea: Gerade wir Frauen sind prädestiniert für dieses Ausbeuten, oft auch in sozialen Berufen, oder?

Nicole: Frauen neigen dazu, ganz viel zu geben, immer mehr, als sie dadurch verdienen. Wir können das umwandeln, können mit der Ausbeutung aufhören und stattdessen Geld im Einklang mit unserem Sein, im Einklang mit Mensch und Natur verdienen. Aber das erfordert ein Bewusstsein, ein bewusstes Nachdenken und Gestalten, auch ein bewusstes Loslösen. Es ist wie in der Ernährung, gesunde Ernährung ist meist bewusste Ernährung. In Bezug auf Geld kann ich mich fragen: Wo bin ich finanziell eigentlich beteiligt und was davon passt zu mir? Wie kann ich das bewusst gestalten und wo folgt mein Geldfluss meiner Überzeugung? Wenn Geld aus Überzeugung fließt (egal ob beim Ausgeben, Einnehmen, Investieren, Schenken oder Spenden), dann handeln wir auch sicherer und selbstbewusster. Dann müssen wir nicht hektisch dem Markt und Herdentrieb folgen. Also zusammengefasst – ja, unsere Glaubenssätze dominieren unsere Beziehungen zu Menschen genauso wie unsere Beziehung zu Geld. Ich sage immer: Eine Frau, die ein schlechtes Gehaltsangebot nicht ablehnt, die sagt auch nicht Nein zu schlechtem Sex. Es ist eine ganz zerstörerische Denke – mehr steht mir nicht zu; das ist zwar nix, aber ich hab ja auch nix Besseres verdient, ich muss das jetzt machen, sonst werde ich nicht mehr geliebt, sonst feuern die mich. Und so weiter. Das ist Selbstvergewaltigung.

Andrea: Gehen wir doch von hier aus mal in die Praxis. Wie arbeitest du mit deinen Klient:innen? Das würde mich interessieren.

Nicole: In meinen Coachings nutzen wir Geld als Spiegel. Zunächst dürfen meine Kund:innen finanzielle Klarheit und Transparenz für sich schaffen, sich ihre finanzielle Situation genau angucken und mit ihr in Frieden kommen. Es ist erstaunlich, was in diesem Prozess passiert. Am Anfang empfinden viele ihre Ausgaben als zu hoch. Ich sage dann oft „Okay, dann streichen wir dieses und jenes einfach“. Und schon steigt die Wertschätzung für etwas zuvor Selbstverständliches – nein, mein Telefon brauche ich aber! Es beginnt ein Umdenken, aus dem heraus viele sich dann in Dankbarkeit mit dem Geld verbinden können. Vorher ist da immer dieses Mangeldenken, über das wir eben schon sprachen – ich brauche erst mal dies oder das, dann ist es gut. Die allermeisten Menschen wollen weg von da, wo sie gerade sind und irgendwo anders hin. Aber dann sind sie nicht bei sich im Hier und Jetzt. Deshalb ist dieser Schritt in die Akzeptanz dessen, was gerade ist, auch in der finanziellen Situation eine so wichtige Basis. Das gilt auch, wenn jemand Schulden hat. Die meisten Menschen schämen sich dafür, doch auch das ist der jetzige Zustand, den es zu akzeptieren gilt; es ist die Nuss, die zu knacken ist. Außerdem sind Schulden auch nicht nur ‚schlecht‘, der Verstand ist nur gewohnt, so zu werten. Sie bieten das Potenzial, aus dem Minus ein Plus zu machen. Schulden stehen auch für den Mut eines Menschen, in sich oder ein Unternehmen zu investieren, das macht man ja nicht ohne Vision.

Andrea: Es ist auch die Art, wie wir mit Schulden oder Investitionen umgehen, oder?

Nicole: Ganz genau. Es geht immer um unsere Haltung, die sich darin spiegelt. Ein gesundes Geldbewusstsein bedeutet gelebte Wertschätzung – frei von Überbewertung oder Abwertung (von Geld oder Menschen). Leider kommt uns da oft unser Verstand mit seinen gewohnten Beurteilungen in die Quere – und Schulden bewertet er negativ. In Amerika ist der Umgang mit Schulden ganz anders. Wenn man in Deutschland einmal scheitert, bekommt man kaum noch Geld von Banken oder Investoren. In Amerika ‚scheitert‘ der durchschnittliche Self-Made-Millionär sieben Mal, doch dort ist die Denke eher „Na ja, jetzt weiß er, wie es nicht geht, langsam hat er den Dreh raus“. So kommt er immer wieder zu Geld, steht auf, macht einfach weiter, bis es irgendwann klappt.

Andrea: Also – einfach akzeptieren, was ist?

Nicole: Ja, das ist die Heilung, zu hundert Prozent die eigene Situation zu akzeptieren, weil das nun mal die Situation ist. Und sie ist immer gut. So wie auch deine Situation, die wir eben kurz ansprachen, keine Katastrophe ist, sondern einfach eine Situation. Und dann kannst du aus der Bewertung rausgehen und in die Freiheit der Beurteilung – aha, spannend, was kann ich daraus lernen? Und vielleicht, wenn das Leben dich jetzt Monate oder sogar ein Jahr im Annehmen übt, dann hast du das für den Rest deines Lebens gelernt. Es wird dir in allen anderen Belangen megaleicht fallen und dadurch wirst du immer genug zu geben haben, weil du es leicht annehmen kannst.

Andrea: Das fühlt sich gut an. Danke. Wie geht es dann weiter für deine Klient:innen?

Nicole: Im nächsten Schritt gehen wir den Glaubenssätzen auf den Grund – wie denkst du über Geld, über Macht, über Reichtum und so weiter. Wir gehen das in einem langsamen Prozess an und immer, wenn Ängste aufkommen, können wir sie drehen; beispielsweise über die Frage: Wer bist du wirklich in dieser Situation, wenn du jetzt ins Vertrauen gehst?

Hier sind wir beim wichtigsten Kern meiner Arbeit: das Wandeln der vier Grundgefühle, die deinen Umgang mit Geld beeinflussen: Angst, Scham- und Schuldgefühle sowie Ohnmacht oder Wut, die beim Thema Geld ganz oft eine Rolle spielen. Hinter jedem dieser Gefühle steckt eine Gegenstärke – die Angst vor xy kann die Angst vor der eigenen Kraft, der eigenen Stärke sein. Viele Frauen haben eine riesengroße Angst vor der eigenen Courage. Ich habe schon oft gehört: Nicole, wenn ich zu meiner Wahrheit stehen würde, dann fackelt es hier an allen Ecken, dann muss ich raus aus dieser Beziehung, mit jeder Konsequenz. Aber sie haben Angst vor diesem Schritt, vor ihrer Wahrheit, und arbeiten sich lieber weiter in der Beziehung ab. Dabei zerbrechen Beziehungen nach meiner Erfahrung nie an der eigenen Wahrheit, sondern nur daran, dass wir uns nicht mit ihr konfrontieren wollen.

Andrea: Ich habe in einigen meiner Gespräche schon signalisiert bekommen, wie unangenehm die Aussage anmutet: Ich kann ihn nicht verlassen, das kann ich mir nicht leisten. „Da gehen bei mir alle Alarmglocken an“, sagte eine Gesprächspartnerin. Im Prinzip genau das, was du auch sagst: Steh zu deiner Wahrheit – steh zu den Konsequenzen, oder?

Nicole: Dieses „Ich kann es mir nicht leisten“ ist einer der schlimmsten Glaubenssätze, darauf gehe ich auch in meinem Buch „Wer spart, verliert“ ein. Eigentlich ist es genau andersherum – wir können es uns nicht leisten, so zu denken! Wir bringen uns in unser Unvermögen, äußern die größte Respektlosigkeit unserem Sein gegenüber, weil wir diese Impotenz ausdrücken: Ich kann nicht! Dabei haben wir noch gar nicht angefangen darüber nachzudenken, wie es gehen könnte, trotzdem wissen wir sofort: Es geht nicht. Letztlich konnte sich bisher jeder, der wirklich wollte, mein Coaching leisten. Hilfreich ist der Blick auf die Frage, wie es gehen könnte und schon kommen die Ideen. Erstaunlicherweise haben viele Leute das Geld, obwohl sie denken, sie hätten keines. Wir haben gelernt zu sparen und das Geld, das weggespart ist, da dürfen wir nicht ran. Deswegen können wir uns nichts leisten. Aber zwei Autos müssen es dann schon sein und keiner stellt sich da die Wirtschaftlichkeitsfrage – muss ich mir die leisten? Wie viele Kilometer fahre ich eigentlich damit hier in München? Viele wären überrascht festzustellen, dass sie für das gleiche Geld auch mit dem Taxi fahren könnten. Also ist die eigentliche Frage doch: Entspricht der Wert, den ich mir leiste oder eben nicht leiste, auch meinen Werten? Für viele ist dieses Umdenken erstmal unangenehm, weil es plötzlich nichts Greifbares mehr gibt. Wir haben gelernt, uns Dinge zu kaufen, die wir sehen – das ist Ausdruck unseres Seins, unserer Fülle. Deswegen sind so viele Erbhaushalte überfrachtet mit Dingen, die aber jetzt schon nichts mehr wert sind, Stichwort Brockhaus. Ich habe, also bin ich. Wer sich bewusst mit Werten beschäftigt, merkt, was er sich wirklich leisten will und tut es dann auch. Abseits von allem Statusgehabe ist doch der höchste Wert, in mich zu investieren: Je bewusster und je mehr im Einklang mit mir und meinen Werten ich handle, umso gesünder bin und bleibe ich und umso mehr wächst mein Wissen und auch mein Wert. Und dann kann ich leichter das Geld verdienen, auch wenn am Anfang vielleicht hohe Investitionen stehen.

Andrea: Investitionen, die aber mein Denken und Handeln verändern.

Nicole: Ja, es findet ein wirklicher Wechsel statt, man lebt Wert-voller und erlebt sich selbst als wertvoller. Wenn wir in der Fülle sind, merken wir, wie wenig wir benötigen. Wir kaufen weniger, dafür qualitativer. Wir haben weniger Angst um unsere Werte, weniger Projektionsfläche. Aber – wie gesagt – momentan wollen wir alle noch den Wert greifbar haben. Deshalb halten wir uns gerne an Materie fest, wie an einem zu wenig genutzten Auto, das täglich an Wert verliert, anstatt uns dem zuzuwenden, was uns wirklich reich macht, innerlich reich macht: Was ist wertvoll, was brauche ich für mich, wieviel Zeit benötige ich nur für mich? Und dann fällt ganz viel Kompensation weg – Kompensationskäufe, Frustkäufe, Frustfressen …

Andrea: Ich erlebe gerade im Umfeld der Frauen, die spirituell oder heilend arbeiten, oft die Aussage, dass sie viel mehr in ihrer Fülle sind, viel besser und freudiger leisten, wenn sie kein Geld dafür nehmen müssten. Kennst du das auch und wenn ja, was ist deine Antwort?

Nicole: Wir sollten aufhören, Arbeitswelt und spirituelle Wolke getrennt zu halten. Es geht ja darum, die Verbindung in die Kraft zu bringen. Und deshalb finde ich es sehr heilsam, wenn wir auch da lernen, Geld gerne anzunehmen. Ich hatte mal eine tolle Physiotherapeutin und nach der Behandlung hieß es immer: Ach, leg das Geld irgendwo hin, wenn du rausgehst. Irgendwann habe ich ihr mal gespiegelt, wie es mir damit geht – dass ich mich schlecht damit fühle, ihr das Geld hinzulegen, als ob ich mich dafür schämen müsste. Der letzte Moment bleibt dann ein komisches Gefühl, trotz aller Brillanz ihrer erbrachten Leistung. Ich habe ihr angeboten, stattdessen einen Essenskorb mitzubringen. Durch einen Kurs bei mir konnte sie ihr Schamgefühl beim Geldannehmen auflösen und das hat nicht nur fühlbar etwas verändert, wie ich später erfahren habe: Im Vorfeld gab es immer wieder Kunden, die nur einmal da waren, dann nicht mehr kamen. Seit sie gelernt hat, ihren Verdienst mit Stolz und Freude anzunehmen, passiert das kaum noch – was wiederum mich glücklich und stolz macht.

Andrea: Viele Frauen machen das so oder so ähnlich?

Nicole: Ja, sie bleiben in der Scham und Unsicherheit; zumeist ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie sagen: Ach, ich mach das doch so gerne. Doch wenn du es gerne machst, ist es ja umso wertvoller! Dann bist du ja in deinem Element. Eigentlich müsste alles, was den Leuten Freude macht, doppelt so teuer sein, denn wir bekommen die Energie der Freude noch obendrauf.

Andrea: Das gefällt mir – die Energie der Freude gibt es noch dazu.

Nicole: Es ist ein emotionales Wirtschaftswachstum, das wir erschaffen können, indem wir heute wieder den Mut haben, Freude in unserem Tun zu fühlen. Wenn wir unsere emotionalen Scherben aufräumen, dann kommen wir irgendwann an den Punkt, an dem wir lange genug „am liebsten kein Geld“ genommen haben und beginnen genauer hinzugucken: Mensch, was läuft denn da beim Thema Geld? Und dann kommt die Heilung und ich kann dafür sorgen, dass auch in diesem Bereich ein guter Fluss ist.

Andrea: Du hattest gesagt, dass du bei vielen Erben eine große Verunsicherung spürst, weil sie nichts erschaffen haben, das Erbe quasi so über sie hereinbrach. Das finde ich sehr spannend.

Nicole: Geld ist nicht nur ein unsicheres Thema, wenn wir zu wenig davon haben, sondern auch dort, wo es in Fülle vorhanden ist. Wenn man viel hat, hat man viel zu verlieren, das zum einen. Zum anderen gehen so viele Ängste auf beiden Seiten mit dem Erbe einher, beim Übergeber vielleicht die Angst, dass die Erben es vermasseln. Und die Erben verlieren oft die Orientierung, denn ein Beruf, mit dem ich Geld verdienen muss, gibt ja auch Sicherheit und Struktur. Plötzlich steht man da und muss nichts mehr, weil alles da ist. Man macht einen teuren Urlaub, und niemand interessiert sich dafür; man schmeißt dicke Partys und trotzdem kommen immer wieder Krisen. Du musst Besitz mit deiner Persönlichkeit füllen können, verankert bleiben, du benötigst stabile Beziehungen – all das will erarbeitet und gepflegt werden. Manchmal ist es reine Unsicherheit, aus der Erben in die Fußstapfen treten und alles stur fortführen. Dies kann Sicherheit geben, kann einen aber auch ganz weit vom eigenen Weg abbringen. Es ist ja nicht gesagt, dass der Unternehmer einen idealen Unternehmer-Nachwuchs bekommt. Vielleicht ist der Nachwuchs eine Künstlerseele und arbeitet sich erst mal jahrelang am Unternehmen ab, und macht allenfalls nebenbei einen auf „brotlose Kunst“, immer im Rückgriff auf die vermeintliche Sicherheit durch das Erbe. Es geht also letztlich wieder um die Frage – wer bin ich, wie erlebe ich mich und meinen Wert? Da muss sich ein Erbe genauso hinsetzen und diese Unsicherheit überwinden wie jemand, der Schulden hat.

Andrea: Es ist ein ungutes Gemisch aus impliziter Verantwortung und unausgesprochenen Erwartungen. Wobei „unausgesprochen“ – glaube ich – der rote Faden ist, denn meist wird vorausgesetzt, dass der älteste Sohn die Firma übernimmt und fertig.

Nicole: Da sind wir bei einem Tabuthema – über Geld spricht man nicht. Doch wenn nicht darüber gesprochen wird, passiert genau das, was du geschildert hast. Es wird nicht über Möglichkeiten diskutiert und daher nicht erkannt, dass sich im System die richtigen Lösungen ergeben könnten. Vielleicht sagt die jüngste Tochter – hey, für mich wäre das doch genau das Richtige. Und für den Ältesten ist diese Entscheidung eine riesige Erleichterung.

Andrea: Frauen und Nachfolge, dieses Thema haben die wenigsten präsent.

Nicole: Das ist eine neue Geschichte und die Umsetzung ist zu jung. Frauen dürfen erst seit circa 60 Jahren überhaupt gleichberechtigt erben. In vielen Köpfen ist das noch gar nicht angekommen, sondern es werden weiterhin Traditionen fortgesetzt. Systemisch ist diese Erbfolge noch nicht in unserem Selbstverständnis verankert. Da sind wir erst auf dem Weg – wie generell im Hinblick auf 100%ige finanzielle Gleichberechtigung, Gleichbezahlung, Gleichbehandlung.

Andrea: Dabei könnten Frauen ganz wichtige Impulse setzen.

Nicole: Das kann jede Frau. Es ist etwas ganz Wundervolles, Verantwortung für sein Geld zu übernehmen, bei sich zu sein, in der eigenen Macht zu sein und zu gucken: Wie kann ich wachsen und wie kann ich über mein eigenes Sein hinaus mit meinem Geld zu dem Wachstum beitragen, das ich bewirken will. Ich kann in Bildung investieren, in Bäume, in Wind, Wasser, Sonne. Ich kann meine Macht fließen lassen, und wenn das Millionen Menschen machen, dann sind ganz viele Samen gesät, die eine Veränderung anstoßen werden. Frauen bewirken Veränderung! Bioprodukte wären heute noch immer nicht im Supermarkt, wenn Frauen nicht mit ihrem Geld bewiesen hätten, dass Bio ihnen etwas wert ist.

Andrea: Ich darf meine Rolle als Konsumentin ernst nehmen?

Nicole: Ja, unbedingt. Menschen reden viel, wenn der Tag lang ist, aber ich vertraue dem Spiegel des Geldes. Viele reden über Nachhaltigkeit, aber sobald es an den eigenen Geldbeutel geht, ist sie plötzlich nicht mehr wichtig. Geld ist ein harter, schonungsloser Spiegel – was sagst du, was denkst und tust du und wie wirkt sich das auf deinen Geldfluss aus? Viele sind geschockt, weil sie merken, dass das nicht zusammenpasst. Man will, doch da ist auch diese vertraute Stimme „das kann ich mir nicht leisten“. Es geht um ein neues Denken, ein Denken, das zu uns passt. Unsere Wahrheit denken, fühlen und danach handeln – dann wird sie machtvoll. Solange es nur ein Gedanke ist und morgen mach ich weiter wie gestern oder wie es von mir erwartet wird, solange wird kein machtvoller Geldfluss entstehen. Der entsteht aus der Einheit von Denken, Fühlen und Handeln im Einklang mit deinem Sein: Sich folgen und das Geld folgen lassen.

Andrea: Walk the talk. Das ist ein wunderschönes Schlusswort, liebe Nicole, und ich glaube, dass unser Gespräch nicht nur mich, sondern auch viele Leser:innen zum Nachdenken über ihr Verhältnis zu Geld inspirieren wird.

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Nicole Rupp

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