Wann hast du das letzte Mal im Wald gestanden und dem Blätterrauschen zugehört? Ohne die üblichen Plapper-Gedanken im Kopf? Wenn wir die nämlich ab und zu anhalten, können wir eine hohe Kunst erlernen: Die des Zuhörens.
Zuhören ist eine Kunst? Quatsch, das kann doch jeder.
Wirklich? Der Schriftsteller Ernest Hemingway sagte einmal, dass die meisten Menschen nie zuhören würden. Dabei halten sich Umfragen zufolge 96 Prozent der Erwachsenen für gute Zuhörer! Es scheint, dass Selbst- und Fremdwahrnehmung da gewaltig auseinander gehen.
Zuhören IST eine Kunst. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold und schweigend Zuhören ist, hm – wie der Genuss von Mangosorbet im Sonnenschein. Und genauso selten. Überleg mal, von wem in deinem Umfeld würdest du sagen, dass er oder sie gut zuhören kann? Kurze Liste, oder?
Warum gibt es so wenig gute Zuhörer?
Weil es so viele „gute“ Redner gibt. Oder zumindest so viele, die gerne reden. Ich habe gelesen, dass Neurowissenschaftler der Universität Harvard herausgefunden haben, warum das so ist. Sie behaupten, dass beim Reden die gleichen Gehirnareale aktiviert werden wie beim Sex (oder bei Mangosorbet im Sonnenschein). Es gibt kaum etwas Befriedigenderes für unser Hirn, als sich verbal und ausführlich über die anstehende Hausrenovierung oder die Kollegin zu ergießen. Während Sprechen glücklich macht, strengt Zuhören an. Richtiges Zuhören ist harte Arbeit. Je intensiver man zuhört, sich auf den Redner einstellt und sich selbst zurücknimmt, desto schneller ermüdet man. Zuhören lernen ist ein bisschen wie mit dem Rauchen aufhören. AUTSCH!
Zuhören lernen?
Das Vorurteil, Zuhören könne man eigentlich „von selbst“, hat fiese Folgen. Wer denkt, dass er etwas kann, wird es nicht lernen. Daher gibt es zwar alle Arten von Kommunikationstrainings, in denen das Zuhören allerdings gar nicht, oder nur am Rande, behandelt wird. Und dann sind da noch ein paar Vorurteile, die es Zuhör-Fans auch nicht leichter machen, zum Beispiel dieses: Wer redet, bestimmt das Gespräch. Stimmt nicht, meine ich. Du als Zuhörer kannst dich bewusst oder unbewusst dafür entscheiden, nicht zuzuhören. Das geht ganz einfach und dann hat der Redner Pech. Und Redner können nicht verhindern, dass Zuhörer ihre Interpretation, ihre Werte und Wertung auf das Gehörte anwenden – wir wissen also nie, was beim Empfänger wirklich ankommt. Im NLP heißt es, dass die Bedeutung der Kommunikation vom Empfänger zugewiesen wird: Der Zuhörer hat die Macht.
Warum soll ich mir die Mühe machen, ein guter Zuhörer zu werden?
Wer wollte nicht gerne „die Macht“ haben? Nein, ernsthaft: Kennst du das, wenn im Meeting alle nur dasitzen, mit den Füßen scharren und darauf warten, endlich selbst zu Wort zu kommen? Furchtbar, oder? Und jetzt halte mal probeweise eine Gesprächsrunde dagegen, in der tief und echt zugehört wird. Wo zunächst wertfrei verstanden wird, was der andere sagt, bevor der nächste loslegt. In der man den anderen Raum lässt, sich auszudrücken und zu wachsen. Fühlt sich das nicht besser an?
Wenn es um persönliches Wachstum geht, ist eine Verbesserung der Zuhör-Kompetenz wichtig. Ein besseres Verständnis von mir als „Ich“ ist untrennbar verbunden mit einem Verständnis von mir im „Wir“, das durch Zuhören entsteht. Neugier, Offenheit und Zugewandtheit gehen damit einher und werden dir als gutem Zuhörer auch entgegengebracht, wenn dein Gesprächspartner das Gefühl hat, dass du ihm auf Augenhöhe begegnest. Hier noch ein paar Argumente. Als Zuhörer
- profitierst du vom Wissen anderer,
- kannst du Beziehungen stärken und neue aufbauen,
- hast du weniger Missverständnisse und daher weniger Ärger.
- Du erreichst Ergebnisse, keine Kompromisse,
- kannst in der Zusammenarbeit mit Menschen ungenutztes Wissen und Potenzial aktivieren.
- Denjenigen, die am besten zuhören, wird auch am meisten zugehört.
- Deine Meetings werden effektiver und kürzer, außerdem seltener nötig und
- alle diese Gründe reduzieren Stress und zwar deutlich!
Und zu guter Letzt: Gute Zuhörer sind gefragt, da selten. Und wer von uns möchte das nicht im tiefsten Inneren – gefragt und erwünscht sein?
Ein paar Tipps
- Höre ganz zu, schenke dem Redner 100 % deiner Aufmerksamkeit, lege Smartphone, Zeitung, Küchenhandtuch und alle störenden Gedanken beiseite.
- Höre wertfrei zu. Auch wenn du denkst, dass da nix neues für dich drin ist oder der böse Gedanke „Was redet der Olle da für einen Unsinn?“ sich wieder einschleichen will.
- „Listen to understand, not to answer!“ – lege dir während des Zuhörens nicht schon die Antwort zurecht.
- Antworte nicht so oft „Ja, aber“, sondern öfter „Ja genau, und …“ Führe dann den Gedanken weiter.
- Frage nach, wenn du etwas nicht verstehst. So oft es nötig ist, auch wenn du dir ein bisschen blöd dabei vorkommst. Fragen ist nicht dumm – wer nicht fragt, bleibt dumm.
- Unterdrücke dringend dein Bedürfnis, selbst etwas Kluges zu sagen.
Gute Zuhörer unterbrechen nicht?
Das stimmt nicht. Ein guter Zuhörer darf den Redner unterbrechen, er muss es sogar, wenn nämlich seine Zuhör-Kompetenz am Ende ist. Das passiert nicht nur, wenn zu lange oder zu weit am Thema vorbei geredet wird. Auch wenn der Zuhörer nicht (mehr) folgen kann, weil ihm Vorwissen fehlt, das der Redner voraussetzt, ist unterbrechen wichtig und erlaubt.
Du siehst – gutes Zuhören kann man lernen. Es ist allerdings keine „Technik“, sondern eher ein Mindset. Denn all die Tipps oben werden nicht helfen, wenn das Interesse am Gegenüber, an seinen Ideen und Meinungen nicht vorhanden ist. Gute Zuhörer haben daher immer so etwas wie eine „innere Gastfreundschaft“ für den oder die Gesprächspartner. Sie sind Gastgeber für Ideen und können damit sogar helfen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Schön, oder?